Haltung

Second Hand Hunde – Ankunft im Tierheim

Kommt ein Tierheimhund ins Tierheim, sind die ersten Stunden oder sogar Tage ein extrem dramatisches Ereignis. Fast alle Hunde zeigen in dieser Zeit nicht ihr normales Verhalten. Viele von ihnen ziehen sich deutlich in sich zurück und man erlebt nur eine geringe Vielfalt ihrer Verhaltensweisen. Andere wiederum wählen die Strategie „Angriff ist die beste Verteidigung“ und so kann ein vorher ausgeglichener Hund plötzlich extrem aggressiv erscheinen. 

bannersecondhandhund

Die ersten Tage im Tierheim – für viele Hunde ein Schock!

Hat ein Hund sich nach einer ersten Zeit ein wenig eingewöhnt, verändert sich meist sein Verhalten. Oft zeigen Hunde, die zuerst kaum auf ihre veränderte Umwelt reagiert haben, plötzlich massive Verhaltensänderungen, so als würden sie ein wenig „überreagieren“. Andere wiederum, die vorher etwas intensiver reagiert haben, zeigen nun ein im Vergleich ruhigeres Wesen. In dieser Zeit macht es nicht viel Sinn bereits mit einem Training zu beginnen.

Ruheorte schaffen und den Stress zu minimieren ist die erste Strategie für diese Hunde. Täglich ein Zerstörobjekt anbieten, wie zB. einen leeren Schuhkarton mit Zeitungspapier füllen und darin ein paar Leckerli verstecken oder einen gefüllten Kong, erlaubt den Hunden ihre Frustration abzubauen, damit kann so manche Decke oder Korb vor der Zerstörung gerettet werden. Falls die Hunde sich bereits von fremden Menschen angreifen lassen, sind kurze Spaziergänge ein erster Schritt in die Normalität.

Erste Trainingseinheiten nach der Eingewöhnungsphase

Haben sich nach ca. 10 Tagen die Verhaltensweisen ein wenig klarer herauskristallisiert, kann man mit einem einfachen Training beginnen. Erster Schritt dabei ist ein einfaches „Sitz“-Training, wobei der Hund nach erfolgreichem Sitzen mit einem Leckerli belohnt wird und damit positiv bestärkt wird. Damit hat man ein einfaches Alternativverhalten, das man bei Bedarf abrufen kann. Zeigt ein Hund eine unerwünschte Verhaltensweise, kann man das Alternativverhalten abrufen und dafür belohnen, damit wird der Hund dieses Verhalten, das ihm eine Belohnung verschafft hat, lieber wiederholen als das Fehlverhalten. Schritt für Schritt kann man so ein individuelles Training für jeden Hund zusammenstellen. Es gibt beim Training immer wieder Elemente, die sich wiederholen, aber dennoch läuft kein Training wie das andere ab, da jeder Hund für sich einzigartig ist.

Aaron

Aaron6Aaron zum Beispiel ist ein Schäfermix, der mit ca. 2-3 Jahren in Wien freilaufend gefunden wurde. Er ließ sich die ersten beiden Tage von niemandem nur ansatzweise angreifen. Sobald man dem Zwinger näher gekommen ist, begann er zu knurren und seine Körperspannung war extrem hoch. Futter hat er immer erst dann gefressen, wenn kein Mensch mehr in der Nähe war. Erster Schritt war Aaron einen Zwinger zu geben, in dem er genug Raum hatte um auszuweichen. Kaum hatte er mehr Raum, hat er die Strategie gewählt auszuweichen und nicht zu knurren. Damit konnten wir beginnen ihn langsam mit Futter anzulocken.

Das funktionierte nur bedingt, denn auch nach vielen Wiederholungen hat er maximal ein Futterstück vorsichtig und schnell aus der Hand genommen, ist aber niemals länger geblieben und auch ein leichtes und schnelles Angreifen war nicht möglich. Bis dahin hatte immer nur eine Person mit Aaron trainiert, da es keine Trainingsfortschritte gab, wurde diese Strategie geändert. 3-4 verschiedene Menschen haben danach die gleichen Annäherungsschritte durchlaufen. Durch diese Erfahrung konnten einzelne Personen langsam kurze Streicheleinheiten an der Kopfunterseite durchführen. Immer öfter war es möglich mit einer Hand eine Berührung im Kopfbereich zu machen. Nach zwei Wochen konnten die vier Personen Aaron vorsichtig, aber doch streicheln, damit wurde es Zeit für den nächsten Schritt – ein Halsband anlegen!

Normalerweise ist das Führen eines Tierheimhundes an einem Geschirr wünschenswert, da Aaron aber so massive Probleme mit Berührungen hatte, fiel die Wahl auf ein Halsband, auch weil dieses einmal angelegt auch ständig am Hund bleiben konnte – so zumindest war der Plan.

Harte Zeiten – für Aaron und seine Pfleger

Aaron hatte ca. zwei Wochen, nachdem er ins Tierheim gekommen ist, begonnen sämtliche Decken oder Körbe zu zerstören. Einzig eine Hundebox aus Hartplastik blieb unbeschädigt. Das Anlegen des Halsbandes war erfreulicherweise schnell und undramatisch erledigt, jedoch blieb es nicht lange am Hals von Aaron. Als wahrer Zerstörungskünstler schaffte er es in den Nächten sich drei Halsbänder vom Hals zu nagen! Erst das vierte, das relativ fest anliegend war, blieb unversehrt. Die Versuche eine Leine anzulegen waren unterschiedlich erfolgreich, hatte Aaron einen guten Tag klappte es auf Anhieb, aber an so manchen anderen Tag musste man die ganzen Annäherungsschritte von vor Wochen nochmals durchlaufen, bis man endlich den Karabiner einhaken konnte. Einmal an der Leine, war Aaron wie ausgewechselt, zwar immer noch sehr vorsichtig, war er außerhalb des Zwingers aufmerksam und interessiert. Es waren kurze Spaziergänge ohne weitere Schwierigkeiten mit anderen Hunden oder Menschenbegegnungen möglich.

Nach zwei Monaten des Trainings konnte Aaron außerhalb des Zwinger lange Spaziergänge unternehmen und auch ein einfaches Sitz- und Platz-Training war möglich. Was jedoch immer noch nicht funktionierte war eine „normale“ Annäherung im Zwinger, wo man hereinkommt, eine Leine an das Halsband einhakt. Jedes Mal, wenn man den Zwinger betrat, egal wer von den ihn trainierenden Menschen, ist Aaron immer noch teilweise ausgewichen und wollte den Kontakt vermeiden. Aaron hatte gelernt, je mehr ich „mich ziere“, desto mehr Aufmerksamkeit bekomme ich. Ein erlerntes Verhalten, das sehr leicht als Überängstlichkeit fehlinterpretiert werden hätte können.

Strategiewechsel und endlich das verdiente Glück

Das Training wurde umgestellt und Aaron musste lernen, wenn er nicht schnell reagierte und sich die Leine anlegen ließ, gab es an diesem Tag keinen Spaziergang. Was oft für die Menschen schlimmer war als für Aaron selber. Hatte man sich doch extra für ihn Zeit genommen und wollte ihm etwas Gutes tun und musste nach 10 Minuten unverrichteter Dinge wieder gehen. Doch das Ergebnis gab dieser Strategie Recht, nach kürzester Zeit ließ sich Aaron ohne Schwierigkeiten anleinen und langen, ausgiebigen Spaziergängen stand nichts mehr im Weg. Aaron war ein sehr hübscher Hund und daher war es auch nach erfolgreichem Training nicht schwierig einen Interessenten für ihn zu finden. Eine sehr nette Dame, die einen zweiten Hund für ihre ältere Hundedame suchte. Großen Garten und eine ordentliche Portion Geduld brachte sie ebenfalls mit und daher war nach einer Übergangszeit eine erfolgreiche Vergabe möglich.

Tierheimpatenschaften

Eine Patenschaft mit Übernahme ist die gelungene Form, mit der Tierheime ihre etwas schwieriger zu vergebenden Hunde langsam und erfolgreich an den neuen Halter und seine Umgebung gewöhnen können. Mehrere Besuche im Tierheim und Spaziergänge im Gelände darum herum ermöglichen es dem Hund, in der doch schon zur Gewohnheit gewordenen Umgebung sich an einen neuen Menschen zu gewöhnen. Erst dann kommen die ersten Schritte in das neue Zuhause. Dadurch, dass die Hunde auch immer wieder retour in den Zwinger kommen, können sie auch wieder zur Ruhe kommen. Nicht immer ist das Verlassen des Tierheims für einen Hund das reine Vergnügen. Oft strömen zu viele Eindrücke auf ihn ein und überfordern ihn. Leider kommt es auch sehr oft dazu, dass die neuen Halter die Situation falsch einschätzen und extra lange Spaziergänge mit dem Hund machen um ihn für seine lange Zeit im Tierheim zu entschädigen. Durch diese Überforderungen lösen sie aber leider unerwünschte Verhaltensweisen aus, die wiederum mit einer erneuten Abgabe des Hundes im Tierheim enden. Genau um so einer Situation entgegenzuwirken ist es wichtig eine langsame Eingewöhnung für den Hund zu ermöglichen. Gelingt sie, ist die erfolgreiche Resozialisierung eines Tierheimhundes erfolgt.

Aaron ist nach seinem fast sechsmonatigen Aufenthalt resozialisiert und ist nun schon über zwei Jahre in seinem neuen Zuhause. Er hat nie mehr auch nur das leichteste Aggressionsverhalten gezeigt!

Autorin:
Mag. Gudrun Braun hat Zoologie studiert und spezialisierte sich auf Ethologie (Verhaltensforschung). Sie lebt seit 25 Jahren mit Hunden zusammen und arbeitet seit zehn Jahren als Hundetrainerin im Wiener Tierschutzverein an der Resozialisierung von verhaltensauffälligen Hunden und an der Rückführung dieser Hunde in einen normalen Alltag mit ihren neuen Haltern/Besitzern.

Mail: gudrun@ghbraun.at
Website: www.ghbraun.at

Den Artikel findest du in Ausgabe 03/2014 .